Volunteer Michael erzählt von den ersten Eindrücken des Krankenwagens im MedicalCare Center in Satrasaya: ein Liegendtaxi mit erheblichen technischen und hygienischen Mängeln...

Der zur Gesundheitsstation gehörige Krankenwagen glich bei meiner Ankunft nicht annähernd dem, was man in Deutschland unter einer Ambulanz verstehen würde. Der Krankenwagen hatte im besten Fall nur Sauerstoff zu bieten, war ansonsten aber ohne jegliche Ausrüstung unterwegs. Das hat mich wirklich schockiert. (* Lesen Sie dazu am Ende des Artikels die Anmerkung des Projektleiters). Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mir einen Überblick über das nepalesische Gesundheitssystem und speziell die Abläufe vor Ort verschafft hatte.

 

So ist es natürlich verständlich, dass Michael geschockt war - was ihn glücklicherweise jedoch nicht an seiner weiteren Arbeit gehindert hat.

Die Transporte kann man in wenigen Sätzen beschreiben: Irgendjemand legt den Patienten in den „Krankenwagen“, wenige Minuten später sind auch die restlichen Sitzplätze mit Familienangehörigen und Freunden besetzt. Wenn offensichtlich Atemprobleme bestehen oder schon im Hospital Sauerstoff verabreicht wurde, werden pauschal zwei Liter pro Minute aufgedreht, also für einige Patienten viel zu wenig. Vorausgesetzt, es ist noch etwas Sauerstoff in der Flasche. Es werden weder blutende Wunden versorgt, noch die Lagerung angepasst.

Auf der mehrstündigen Fahrt kümmert sich lediglich die Familie um den Betroffenen. Die Patienten werden nicht mal ansatzweise untersucht oder gar versorgt. Das hängt einerseits mit der fehlenden Ausstattung des Fahrzeugs, aber natürlich auch mit der fehlenden Qualifikation der Fahrer zusammen. Deshalb trifft der Begriff „Liegendtaxi“ wohl deutlich besser zu.

Das Auto der indischen Marke TATA ist seit Anfang 2018 im Einsatz und hatte nach 80.000 Kilometern eine beachtliche Mängelliste. Die meisten Schäden sind Folge der enormen Belastung durch permanente Überladung mit mehreren Familienangehörigen und dem wirklich schlechten Straßenzustand geschuldet. Die Sitze waren völlig durchgesessen und bei langen Fahrten für alle Beteiligten eine absolute Zumutung.

Der defekte Allradantrieb musste spätestens bis zur nächsten Regenzeit repariert werden um auch die abgelegenen Dörfer erreichen zu können. Beschädigte Trittbretter, eingerissene Gummimanschetten der Lenkung, abgerissene Halterungen im Motorraum, eine defekte Rückfahrkamera sowie ein Blaulicht, welches seinen Namen nicht verdient hat. Neben den teils kostspieligen aber leider notwendigen Reparaturen wurde schnell klar, dass dieses Auto sicherer und deutlich komfortabler werden muss, besonders für liegende Patienten. In jedem Erste-Hilfe-Kurs lernt man, wie wichtig die richtige Lagerung ist, vor allem bei Atemnot oder Herzbeschwerden.

Aufgrund der Lebensbedingungen leiden viele Nepali unter Lungenerkrankungen und haben schon bei leichteren Infekten entsprechend Atemprobleme. Besonders diese Patienten profitieren von einer adäquaten Lagerung und dem richtig dosierten Sauerstoff. Allerdings war auch in dieser Ambulanz nur eine flache Rückenlage möglich. Für mich als erfahrener Notfallsanitäter musste dieser Umstand umgehend behoben und eine Lösung gefunden werden. In Deutschland bekommt jeder Patient den dringend benötigten Sauerstoff über eine neue Sauerstoffmaske, also einem Einwegprodukt. Aufgrund der Kosten, aber auch wegen der allgemeinen Beschaffungssituation wird eine Sauerstoffmaske in Nepal so lange verwendet, bis diese tatsächlich kaputt ist. Um den Sauerstoff zu befeuchten, wurde er durch einen kleinen Wasserbehälter geleitet. Diese Feuchtigkeit sammelt sich im gesamten Schlauchsystem und natürlich auch der Maske selbst. Auf der Maskeninnenseite sammelt sich neben den gefährlichen Krankheitserregern des Patienten noch weitere Feuchtigkeit die beim Ausatmen in der Maske hängen bleibt. Da es weder im MedicalCare Center, noch in der Ambulanz ein nur ansatzweise geeignetes Desinfektionsmittel gab, wurde diese Sauerstoffmaske zu einer unvorstellbaren Keimschleuder. Auch die Liege, Türgriffe und andere Oberflächen wurden deshalb noch nie desinfiziert und somit zu einer hygienischen Katastrophe.

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Blick in die Ambulanz an meinem ersten Tag in Satrasaya            Sauerstoffeinheit mit Befeuchtung                                         

Der Mangel an Desinfektionsmitteln und ein personeller Engpass führten zu der schockierenden Ausgangslage

Bis wir geeignete Desinfektionsmittel in den Händen halten und zum Einsatz bringen konnten, hat es ganze vier Wochen gedauert. Viele Dinge, darunter Desinfektionsmittel, kann man in Nepal nur sehr schwierig oder manches überhaupt nicht beschaffen. Seit dem schweren Erdbeben im Jahr 2015 sind die meisten Güter spürbar im Preis gestiegen und auf diesem Niveau geblieben [Ergänzung zum Bericht aus dem Oktober 2019: Durch die Corona-Pandemie sind Nachfrage und Preis für Hygieneartikel und Desinfektionsmittel gestiegen].

Jetzt stellt man sich natürlich die Frage, wie es überhaupt zu all den technischen und hygienischen Mängeln kommen konnte. Trotz einer großzügigen Spende von den Ausstellern des Tollwood Festivals in München, hat help to help beim Kauf des Einsatzfahrzeugs einen erheblichen Betrag selbst finanzieren müssen.

Es wurden zwei Fahrer eingestellt, die sich tageweise abgewechselt haben. Einer der Fahrer hatte sogar eine medizinische Qualifikation, aber leider hat er nach einem Jahr eine Arbeitsstelle im Ausland angetreten. Wegen unerwartet hoher Ausgaben und des äußerst begrenzten Budgets wurden sowohl die Nachbesetzung des Fahrers, als auch Investitionen für Ausrüstung und Reparaturen aufgeschoben. Mit Inbetriebnahme der Ambulanz sollten medizinisch geschulte Helfer in regelmäßigen Abständen nach Nepal fliegen und dieses Projekt mit dem nötigen Wissen unterstützen. Leider ist es help to help nicht gelungen, auch nur einen einzigen Helfer mit entsprechender Erfahrung nach Nepal zu schicken. Somit war ich rund 18 Monate nach Inbetriebnahme der Ambulanz tatsächlich der erste ehrenamtliche Helfer für dieses spezielle Projekt.

Schon seit Monaten war Durga der einzige Fahrer. Er wohnt mit seiner Familie direkt gegenüber des MedicalCare Centers, ist über das Telefon der Ambulanz rund um die Uhr erreichbar und in wenigen Minuten einsatzbereit. Aufgrund der langen, anstrengenden Fahrten hatte er die Grenze des Zumutbaren erreicht und manchmal überschritten. Nach mehreren Transporten mussten wir in Kathmandu unsere Sauerstoffflasche füllen lassen. Für Durga eine gute Gelegenheit, sich zumindest eine kurze Pause zu gönnen. Kaum ein anderes Foto könnte seine Verfassung besser zeigen als das folgende Bild.

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Der Fahrer Durga gönnt sich eine kurze Pause       

Durch die Schulung des Teams und die Unterstützung eines weiteren Mitarbeiters hat sich die Lage bereits verbessert

Durga hat die Ambulanz immer sicher durch den teilweise chaotischen und aus meiner Sicht nicht ganz ungefährlichen Verkehr gesteuert. Mal abgesehen vom rasanten Fahrstil der ersten Einsätze mit entsprechendem Feedback hat er sich zu einem wirklich guten Fahrer entwickelt. Als nächstes wollte ich ihn schrittweise an die gezielte Patientenversorgung und -lagerung und eine angemessene Sauerstoffgabe heranführen. Bei jedem Einsatz habe ich wichtige Punkte erklärt und ihn insbesondere mit Pulsoxymeter und dem Blutdruckmessgerät üben lassen.

Um all die Umbaumaßnahmen am Fahrzeug und auch Beschaffungsfahrten besser bewältigen und organisieren zu können, wurden wir von einem zusätzlichen ehrenamtlichen Mitarbeiter von help to help Nepal unterstützt. Rajib ist für verschiedene Aufgaben zuständig und hatte in der Vergangenheit schon einige Transporte mitbegleitet. Da auch er keine medizinische Ausbildung hat, wurde er natürlich mit in mein „Ausbildungskonzept“ eingebunden und hat in diesen fünf Wochen einiges gelernt. Anlegen von Verbänden und Dreiecktuch, stabile Seitenlage, Abnehmen des Motorradhelms, aber auch das richtige Blutdruckmessen musste erklärt, gezeigt und natürlich immer wieder geübt werden. Leider haben die überdurchschnittlich vielen Einsätze, aber natürlich auch Werkstattbesuche und Beschaffungsfahrten unerwartet viel Zeit gekostet und so die Ausbildung und das Training ausgebremst. Selbst die Beschaffung geeigneter Erste-Hilfe-Bücher auf Nepali hat sich über Wochen gezogen, aber am Ende war ich mit meiner Ausbeute zufrieden.

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Rajib (links) und der Fahrer Durga mit Dreieckstuch                             Verbände anlegen und Blutdruck messen war für beide Pflicht

Von Atemwegsinfekten bis zu Schlangenbissen Bhakta und Beli Maya behandeln Patienten in allen medizinischen Notlagen...

Erst gegen Ende meines Aufenthaltes hatten wir wieder etwas mehr Zeit, um das bis dahin gelernte realistisch üben zu können. Dabei wurden wir von der Nachbarschaft mit Interesse beobachtet, aber natürlich auch unterstützt. Das war eine willkommene Abwechslung für alle.

Bei meinem nächsten Einsatz in Nepal werde ich hoffentlich mehr Gelegenheiten haben, das Team zu schulen und so die Versorgungsqualität zu verbessern.

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Die Nachbarschaft beobachtet unsere Übungen interessiert 

Im nächsten Teil der Blogserie berichte ich ausführlich über den kompletten Umbau der Ambulanz.

Lesen Sie auch den Blogartikel "Einblick in das nepalesische Gesundheitssystem"

 

 

* Bemerkung der Projektleiter:

Das Fahrzeug wurde, wie in Nepal üblich, mit der Grundausstattung gekauft. Diese besteht im Innenraum nur aus der Liege und einer Sitzbank. Im Laufe der Zeit konnten durch Spendenmittel eine Sauerstoffflasche, eine Erste-Hilfe-Tasche und eine Liege-Matratze gekauft werden. Michaels Bemerkung "quasi ohne Ausrüstung" ist insoweit zutreffend, als dass er als professioneller Rettungssanitäter selbstverständlich andere Fahrzeuge mit entsprechender medizinischer Ausrüstung kennt und gewohnt ist. Davon können die Rettungskräfte in Nepal nur träumen.

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Zum Autor der Blogserie:

Ich heiße Michael und bin 40 Jahre alt. Als Anästhesie- und Intensivpfleger, Notfallsanitäter sowie Ausbilder für Erste Hilfe konnte ich zumindest in Deutschland genügend Erfahrungen sammeln. Reisen ist seit vielen Jahren eine meiner Leidenschaften und so entschied ich mich, im Herbst 2019 für einige Monate als Volunteer für die Hilfsorganisation help to help international nach Nepal zu gehen. Ich unterstützte das Projekt “Gesundheitsstation und Ambulanzfahrzeug in Satrasaya”

 

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▸ Mehr zum Projekt "MedicalCare Center Satrasaya"

 

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