Ankunftstag am Projektort im MedicalCare Center Satrasaya: Ein erster Tag bzw. eine erste Nacht, wie sie kaum hätte aufregender sein können... Volunteer Michael hat eine wahre Abenteuergeschichte zu erzählen, vom Sprung ins eiskalte Wasser (und das teils wortwörtlich):

Schon auf der mehrstündigen Fahrt von Kathmandu an den Projektort in Zentralnepal in einem völlig überfüllten Bus hatte ich einen kleinen Einblick in das doch sehr einfache Leben der Nepalesen bekommen. Bei meiner Ankunft im MedicalCare Center in Satrasaya begrüßte mich Bhakta mit einem herzlichen „Namasté“ und zeigte mir anschließend die Wohnung, die für die nächsten fünf Wochen mein Zuhause sein sollte. Bhakta ist die medizinische Fachkraft, die das MedicalCare Center leitet. Die Wohnung befindet sich direkt über dem MedicalCare Center und wird Volunteers kostenlos zur Verfügung gestellt. Hier hatte ich mein eigenes Zimmer, konnte aber auch das frisch renovierte Bad, die Küche und das Wohnzimmer nutzen. Einen Kühlschrank suchte ich zwar vergeblich, aber dafür waren ausreichend Moskitonetze an den Fenstern angebracht. So konnte ich zu jeder Zeit die Fenster öffnen, ohne mir Gedanken über diese kleinen Quälgeister machen zu müssen. Positiv überrascht war ich vom gut funktionierendem WLAN. So war meist auch der Kontakt nach Hause und zu help to help in München problemlos möglich. Allein mit der kalten Dusche konnte ich mich auch in den folgenden fünf Wochen nicht anfreunden.

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Mein Zimmer für die kommenden 5 Wochen                                   Blick aus dem Fenster meines Zimmers 

Nachdem ich meinen Koffer ausgeräumt und mir in Ruhe alles angesehen hatte, wollte ich mir das MedicalCare Center zeigen lassen. Doch als ich unten ankam, waren beide Behandlungsliegen mit Patienten belegt. Mindestens 15 Menschen standen im Behandlungsraum und beobachteten, wie Bhakta die Wunden des einen Patienten nähte und anschließend den offensichtlich gebrochenen Finger schiente. 

Erste-Hilfe-Versorgung mit reichlich Publikum...

Ich war total überrascht, dass so viele Leute im Raum standen und bei der Wundversorgung zuschauten. Es schien sich aber außer mir niemand daran zu stören. Nepalesen sind hilfsbereit, kontaktfreudig und wirklich unkompliziert. So hatte ich auch in den folgenden Wochen immer wieder die Gelegenheit, meine Erlebnisse und Einblicke auf Fotos wie diesem festzuhalten.

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Um nicht untätig rumzustehen, habe ich mich bei einem der anwesenden Polizisten erkundigt, was denn eigentlich passiert ist. Er erklärte mir, dass die beiden einen Motorradunfall hatten. Weil Bhakta alle Hände voll zu tun hatte, habe ich mich um den zweiten Patienten gekümmert. Auf den ersten Blick war dieser jedoch nicht so schwer verletzt und außer einer Sprunggelenksverletzung und diversen Prellungen konnte ich keine ernsthaften Verletzungen feststellen.

Glücklicherweise habe ich für die Versorgung keinerlei Ausrüstung gebraucht. Auch wenn ich etwas unerwartet in diese erste Patientenversorgung gestolpert bin, so hat es mit etwas Englisch und einem Lächeln ganz gut funktioniert. Wenige Minuten später waren beide Patienten versorgt und wurden mit der Ambulanz ins Krankenhaus gefahren. Nachdem auch die Zuschauer den Behandlungsraum verlassen haben, hatte ich nun endlich die Gelegenheit, mich mit Bhakta zu unterhalten und mir das MedicalCare Center sowie die Apotheke zeigen zu lassen. Von den Räumlichkeiten, aber vor allem von Bhaktas professioneller Erstversorgung war ich positiv überrascht.

Da die Ambulanz auch nach Einbruch der Dunkelheit noch immer nicht zurück war, habe ich mich irgendwann in mein Zimmer zurückgezogen. Eigentlich wollte ich mir von Durga, dem Fahrer des Krankenwagens, noch das Auto und die Ausrüstung zeigen lassen, aber das musste ich auf den nächsten Tag verschieben. 

Etwas später, als ich auf der ungewohnt harten Matratze noch immer nach der besten Schlafposition suchte, klingelte mein Telefon und Durga sagte mit hektischer Stimme: „Michael, come down!“. Ohne zu wissen, was mich erwartet, zog ich mich wieder an. Bewaffnet mit Einweghandschuhen, meiner Stirnlampe und einem Pulsoxymeter stieg ich zu ihm ins Auto. Ich habe ja schon viel erlebt, aber diese halsbrecherische Fahrt auf der kurvenreichen, feuchten und in Nebel gehüllten Straße hat alles in den Schatten gestellt. Die Scheinwerfer der Ambulanz waren kaum mehr als ein blasser Lichtkegel und ich fragte mich, wie Durga auf der unbeleuchteten Landstraße überhaupt irgendwas erkennen konnte. Ich sah mein Leben an mir vorbeiziehen und hoffte, dass wir bald am Ziel ankommen würden.

Eine rasante Fahrt im Dunkeln und eine geplatzte Fruchtblase...

Als wir wider erwarten lebend den Einsatzort erreichten, stiegen sofort drei Frauen, ein Mann sowie ein Kind in die Ambulanz. Durga erklärte mir auch jetzt nicht, worum es ging, schloss nur die Hecktür hinter mir und fuhr im gleichen Tempo weiter Richtung Krankenhaus. So war jeder vollauf damit beschäftigt, sich irgendwo festzuhalten oder abzustützen. Da die Deckenleuchte im Inneren des Autos nicht funktionierte, saß ich nun mit fünf weiteren Personen im Dunkeln. Dank meiner Stirnlampe konnte ich erkennen, dass eine hochschwangere Frau die Patientin sein musste. Natürlich wollte auch ich keine Zeit verlieren, aber dieser Höllenritt war ein Erlebnis der besonderen Art. Nach und nach konnte ich der Frau entlocken, dass sie ihr zweites Kind erwartet, im zehnten Monat schwanger ist und auch die Fruchtblase schon geplatzt war.

Anhand des Stöhnens und dem Blick auf meine Uhr konnte ich feststellen, dass die Wehen alle drei Minuten einsetzten. Von Durga erfuhr ich, dass es bis zum Krankenhaus noch mindestens 35 Kilometer sind. Diese Information, aber vor allem sein rasanter Fahrstil hat mir die eine oder andere Schweißperle auf die Stirn getrieben.

Um den Abstand der Wehen weiter im Blick zu behalten, musste ich immer wieder auf meine Uhr schauen und dachte “es ist fünf vor zwölf” im wahrsten Sinne des Wortes. Während der Fahrt habe ich im Kopf verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, aber ohne zu wissen welche Ausrüstung im Auto ist, war die beste Option wohl doch der schnellste Transport zum Krankenhaus. Noch auf der Fahrt versuchte ich mir die passenden Vokabeln für die Übergabe zurecht zu legen. Was heißt denn Wehen und Fruchtblase auf Englisch? Dank Smartphone konnte ich zumindest diese Wissenslücke schnell schließen und mich wieder auf die werdende Mutter konzentrieren.

Endlich am Krankenhaus angekommen, setzte ich die Frau in einen Rollstuhl und Durga zeigte mir mit einer Geste die grobe Richtung, aber verschwand zu meiner Verwunderung wieder im Auto. Nun stand ich da, mitten in Nepal vor irgendeinem Krankenhaus und ich wusste nicht einmal, ob wir zur Notaufnahme, auf Station oder zum Kreißsaal müssen bzw. wo dieser überhaupt ist. Alle Schilder waren auf Nepali geschrieben und haben mir nicht weitergeholfen. Doch zum Glück kannte die werdende Mutter den Weg und so standen wir kurze Zeit später mit der ganzen Familie mitten im menschenleeren Kreißsaal. Ich musste mehrere Male rufen, bis sich eine Tür öffnete und eine völlig verschlafene Hebamme aus dem Nebenzimmer kam. „Do you speak English?“ fragte ich. Nachdem sie nickte, konnte ich ihr die wichtigsten Informationen geben und ich war heilfroh, dass wir es noch rechtzeitig zum Krankenhaus geschafft haben.

Nach der ersten aufregenden Nacht: Prüfender Blick auf die Ambulanz und ziemliche Ernüchterung

Nach dieser aufregenden Nacht hatte ich am nächsten Morgen endlich Zeit, mir von Durga das Ambulanzfahrzeug und die Ausstattung zeigen zu lassen. Schockiert musste ich feststellen, dass es bis auf Sauerstoff, einigen Brechbeuteln und Handschuhen keinerlei Ausrüstung gibt. Nicht einmal eine Decke oder zumindest ein Handtuch, in das ich das Neugeborene hätte einwickeln können. Erst jetzt wurde mir bewusst, wieviel Glück ich bei meinem ersten Einsatz gehabt hatte, bei dem ich im Krankentransportwagen keine Geburtshilfe hatte leisten müssen.

Als sich die First Aid Box als leerer Schrank entpuppte, es also auch kein Verbandsmaterial gab, war ich wirklich schockiert. Ich war ja auf einiges vorbereitet, aber dass ich das Auto in einem solchen Zustand vorfinden würde, war mehr als ernüchternd. Spätestens jetzt war mir klar, dass die nächsten fünf Wochen nicht nur spannend sein würden, sondern fast ein Wettlauf gegen die Zeit, angesichts all der Aufgaben. 

 

Schnelle erste Verbesserungen am Krankenwagen gleich an Tag 1

Als ich die Patiententrage genauer ansehen und aus dem Auto ziehen wollte, symbolisierte mir Durga, dass dies nicht möglich sei. Bei genauerer Betrachtung fiel mir ein Kabel auf, welches mit Klebeband direkt an der Trage befestigt war. Auf Nachfrage bestätigte mir Durga, dass die Trage bisher noch nie außerhalb der Ambulanz zum Einsatz gekommen ist. Nachdem wir das Problem mit dem Kabel gelöst hatten, konnten wir die Trage endlich herausziehen. Allerdings musste ich nun mit Entsetzen feststellen, dass der einzige Bolzen der die Trage während der Fahrt festhält, extrem locker war und jederzeit hätte abbrechen können. Doch mit einfachem Werkzeug konnten wir dieses Problem schnell beheben.

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Ambulanz wie ich sie vorgefunden habe                                        Das Kabel, welches an der Trage befestigt war 

Mir wurde sehr schnell klar: Es gibt richtig viel zu tun.

Zudem gab es keine Möglichkeit, den Patienten auf der Trage sicher anzugurten. Nicht einmal eine Lagerung mit erhöhtem Oberkörper war möglich. Zuletzt erfuhr ich, dass es keine Desinfektionsmittel gibt, weder zur Händedesinfektion, noch zum Desinfizieren der Trage, der Sitze und der restlichen Oberflächen im Auto. Die Sauerstoffmaske war wirklich in einem hygienisch katastrophalen Zustand. Obwohl ich noch keine 24 Stunden in Satrasaya war, standen schon einige wirklich wichtige Punkte auf meiner To-Do-Liste.

Doch als erstes musste ich mir einen kleinen Notfallrucksack zusammenstellen, um zumindest das Allernötigste für meinen nächsten Einsatz parat zu haben. Zum Glück hatte ich aus Deutschland verschiedene Dinge mitgebracht, darunter zwei Pulsoxymeter (um den Sauerstoffgehalt im Blut messen zu können), einen Verbandskasten, eine flexible Schiene, um einen Knochenbruch ruhigstellen zu können, eine kleine Flasche Händedesinfektionsmittel, eine stabile Schere sowie eine Pupillenleuchte. Bhakta gab mir noch eine Blutdruckmanschette mit Stethoskop und damit war mein Rucksack einsatzbereit. 

 

Im nächsten Blogartikel stellt Michael das Team des MedicalCare Centers vor und gibt einen Einblick in die Arbeit des MedicalCare Centers in Satrasaya.

Lesen Sie auch den Blogartikel "Einblick in das nepalesische Gesundheitssystem"

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Zum Autor der Blogserie:

Ich heiße Michael und bin 40 Jahre alt. Als Anästhesie- und Intensivpfleger, Notfallsanitäter sowie Ausbilder für Erste Hilfe konnte ich zumindest in Deutschland genügend Erfahrungen sammeln. Reisen ist seit vielen Jahren eine meiner Leidenschaften und so entschied ich mich, im Herbst 2019 für einige Monate als Volunteer für die Hilfsorganisation help to help international nach Nepal zu gehen. Ich unterstützte das Projekt “Gesundheitsstation und Ambulanzfahrzeug in Satrasaya”

 

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